Amelie Nothomb „Mit Staunen und Zittern“

Amelie Nothomb ist 1967 in Japan geboren. Sie hat ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines belgischen Diplomaten hauptsächlich in Fernost verbracht. Amelie Nothomb ist eine äußerst erfolgreiche Schriftstellerin, ihre Romane werden in bis zu 40 Sprachen übersetzt und sie hat zahlreiche Preise gewonnen. Für „Mit Staunen und Zittern“ erhielt sie den Grand Prix de l’Académie française.

Mit Zittern und Staunen war ein Teil der Vorschriften, wie sich ein Untertan dem japanischen Kaiser zu nähern hatte. Die Erlebnisse der Protagonistin, die sie im Buch beschreibt, sind gleichfalls geeignet, sie selbst, aber auch den Leser staunen und zittern zu lassen.

Amelie hat eine Stellung bei dem großen japanischen Unternehmen Yumimoto angenommen. Sie ist stolz darauf, weil es für Europäerinnen sehr schwer ist, so eine Arbeitsstelle zu bekommen.

Ihre Erwartungen, nämlich ihre Sprachkenntnisse und ihr Buchhaltungswissen zu verbessern, werden nicht erfüllt. Schon ihre erste Aufgabe, mittels Brief der Einladung zu einem Golfspiel zuzustimmen, kann sie nicht zur Zufriedenheit ihres Chefs erledigen. Er zerreißt – teilweise ungelesen – alle ihre Briefentwürfe und schickt sie schließlich zu Fräulein Fubuki Mori, die ihre unmittelbare Vorgesetzte ist und deren Schönheit Amelie restlos begeistert.

Es gibt keine Aufgaben für Amelie, außer das „Amt des ehrenwerten Teeservierers“, aber auch da versagt sie, weil sie beim Servieren durch höfliche Antworten zu erkennen gibt, dass sie Japanisch spricht. Das wird von ihrem Vorgesetzten als grobes Vergehen bezeichnet, sie wird niedergebrüllt, beleidigt und gedemütigt. Obwohl sie angestellt wurde, weil sie Japanisch spricht, verbietet ihr der Vizepräsident ab nun Japanisch zu verstehen.

Nach dieser Szene überlegt Amelie zu kündigen, aber sie weiß, wenn sie vor Vertragsende kündigen würde, „verliert sie ihr Gesicht“. Außerdem hat es sie viel Mühe gekostet, die Stelle bei Yumimoto zu bekommen, und sie wünscht sich sehr in Japan zu arbeiten, weil sie mit diesem Land durch ihre schönen Kinderjahre eine besondere Beziehung verbindet.

Von da an stellt Amelie täglich die Kalender um und trägt die Post aus. Aber auch diese Aufgabe kann sie nicht zur Zufriedenheit erledigen. So entfernen sich die ihr gestellten Aufgaben immer mehr von ihrem Können, ihrer Qualifikation. Sie gewinnt auch keine beruflichen Kenntnisse dazu. Aber sie wird einer zum Teil grausamen, gewalttätigen Schule zum Thema „Hierarchie“ unterzogen.

Amelie steht das Jahr durch. Sogar bei ihrem Abschied zeigt sie sich demütig und selbstanklagend, was von Fräulein Mori mit sichtlicher Genugtuung beantwortet wird. Nur der Präsident der Gesellschaft, der oberste Chef, widerspricht ihren Selbstanklagen.

Zuletzt gibt es doch noch eine positive Überraschung.

Amelie Nothomb ist ein scharfsinniges Buch gelungen, sie zeigt einerseits die Mechanismen auf, die in hierarchischen Systemen wirken, und andererseits übt sie Kritik an der Rolle der Frau in der japanischen Gesellschaft. Aber auch wenn sie die japanische Kultur kritisch unter die Lupe nimmt, geschieht das doch immer wieder mit einem Augenzwinkern und in erfrischender Weise.

Ein Buch zum Staunen über eine klare, treffsichere Sprache und zum Zittern um das Wohl von Amelie und vor deren gewalttätigen Chefs, die in diesem hierarchischen System herrschen.

Sehr empfehlenswert!!!

Prof. Münzer-Jordan

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